Manchmal wird ein Schriftsteller von seinen Büchern eingeholt. Dann taucht das fast Vergessene plötzlich auf, bemächtigt sich der Zeitgeist eines alten Textes. 1996 veröffentlichte Christa Wolf ihren Roman Medea Stimmen die bislang radikalste Korrektur des Mythos. Bis dahin galt Medea als blutrünstige Furie, die von dem Argonauten Jason betrogen wird und aus Rache die gemeinsamen Kinder sowie ihre Nebenbuhlerin tötet. Bei Christa Wolf ist sie nicht Kindsmörderin, sondern Opfer von Verleumdung, ist Rebellin gegen Patriarchenwillkür, Mütterduldsamkeit, Unterwerfungspflicht.